Hallo!
Antonia hat geschrieben:Ich glaube, Elvira kann und will noch ganz viel kämpfen (arbeiten), und will noch nicht wahrhaben, was passiert, wenn das mal wirklich nicht mehr geht, das mit dem Arbeiten. Das ist eine schlimme Vorstellung, ja.
Ich denke, genau da liegt das Problem. Ich kenne es ja selber, ich habe damals in der Rehaklinik verbissen gegen eine Berentung gekämpft, wobei ich nicht wegen des Geldes arbeiten wollte, sondern weil meine Arbeit mein Lebensinhalt, meine Familie war. Ich habe 3 Jahre und durchgängig ambulante und mehrmals stationäre psychiatrische und psychotherapeutische Hilfe gebracht, bekomme sie ambulant immer noch, um einigermaßen mit der Situation klarzukommen, zu akzeptieren, dass es wirklich nicht mehr geht.
Elvira, ich glaube nicht, dass Dir hier jemand etwas Böses will, Dich persönlich angreifen will. Es geht meiner Ansicht nach eigentlich um etwas ganz anderes, was gar nichts mir Dir persönlich zu tun hat, nur bist Du gerade diejenige, die das verkörpert, worum es ursächlich geht. Du bist im übertragenen Sinn quasi der Zünder für die Explosion der Bombe, die nicht Du gebaut hast.
Ich sehe das so, dass man in einer Situation wie sie meine Vorschreiber/innen größtenteils haben, das, was Dir wichtig ist, nicht verstehen kann, es für völlig übersteigert hält, weil man selber auf einem, nennen wir es mal, viel niedrigerem Level klarkommen muss, sich oft um existenzielle Dinge sorgen muss,ob man die Miete noch bezahlen kann, am Monatsende noch genug zu essen hat... Ich erlebe es bei einer Freundin, die Hartz-4-Empfängerin ist. Sie ist 54, top qualifiziert, macht eine Fortbildungsnahme nach der anderen, findet aber keine Arbeit mehr, zu alt, wohnhaft in Leipzig, keine Chance...
Bei mir z.B. ist der PC rund um die Uhr an, weil es halt bequem ist, sie schaltet ihn nur kurz ein, um z.B. nach Stellenangeboten zu recherchieren oder eine Mail zu schreiben, und macht ihn dann sofort wieder aus, um Strom zu sparen. Sie ist glücklich über Kleinigkeiten, die ich ihr mitbringe, wenn ich sie besuche. Als ich ihr mal zum Geburtstag 20 € geschickt habe, hat sie sofort alles stehen und liegen gelassen und ist zum Friseur gegangen. Wenn man selbst für solche im Grunde genommen banalen Dinge kein Geld hat, denkt man nicht darüber nach, ob man sein Cabrio behalten kann, weil man sich nicht mal das kleinste uralte Auto leisten kann.
Dir ist Dein Cabrio wichtig, es gehört zu Deinem Lebensstandard, zum Lebensgefühl, und dass Du das nicht aufgeben willst, ist nachvollziehbar. Nur fragt das Leben leider nicht danach, was man gerne will, manche Dinge muss man letztendlich akzeptieren, auch wenn sie einen Abstieg bedeuten. Das ist verdammt schwer, das fällt niemandem leicht. Und andere Menschen hier im Forum, die mit viel weniger auskommen müssen, empfinden es als Hohn, dass Du Dir wegen Deines Cabrios Gedanken machst, weil sie ganz andere Sorgen haben. Auch das ist verständlich. Und so prallen zwei Welten aufeinander, aber meiner Meinung nach eben nicht wegen Dir als Person, sondern weil Du damit zumindest teilweise die eine Seite der sozialen Schere in unserer Gesellschaft verkörperst, die immer mehr auseinander klafft. Man ist verbittert, wenn man wegen (unverschuldeter) Krankheit finanziell und damit auch sozial abgestiegen ist, keiner hier hat das freiwillig gemacht.
Ich rege mich z.B. auch darüber auf, wenn ich in einem Eltern-Forum Themen lese wie: "Hilfe, mein XY ist soooooo krank!!!!!!!!!!!!!!!!" und dann wird geschrieben, dass das arme Kind letzte Nacht siebenmal geniest und fünfmal gehustet hat. Darüber kann ich als Mutter eines autistischen Sohnes nur den Kopf schütteln, ich habe ganz andere Probleme mit meinem Kind und ein Erkältungsinfekt ist für mich eine Lappalie, nicht der Rede wert. Oder wenn eine Userin schreibt, dass sie im Kino war und dann seitenlang darüber diskutiert wird, wie toll das war und wer wen im Film geliebt und geküsst hat.... Oder solche Themen wie "Habt Ihr zu Hause schon für Ostern dekoriert?" Solche banalen Probleme möchte ich auch mal haben, dann wäre ich glücklich...
Wenn Ihr mögt, lest mal das:
http://www.rehakids.de/phpBB2/ftopic30862.html
Und nicht anders als diese Beispiele ist das hier im Thread, was für den einen wichtig ist, empfindet der andere als abgehoben, realitätsfern, weil er mit ganz anderen, grundlegenderen Problemen zu kämpfen hat.
Bei mir ist es wie bei Melly, auch ich gehörte zu den Menschen, die trotz Krankheit immer arbeiten gegangen sind, funktioniert haben. Ich habe mich mit schwersten Depressionen, übelster Migräne, mit hohem Fieber, mit Bandscheibenvorfall zur Arbeit gequält, habe mir nicht anmerken lassen, dass es mir hundeelend geht. Nicht wegen des Geldes, was ich für meine Arbeit bekam, sondern die Arbeit machte mir Spaß, ich bekam außerdem die soziale Anerkennung, die ich früher zu Hause nie bekam, die ich als Mutter eines autistischen Kindes nicht bekam, die mir bestätigte, dass ich in meinem Beruf als Erzieherin nicht unfähig bin, wie mir wegen meines Sohnes mehr als einmal vorgeworfen wurde. Und lange Zeit war die Arbeit das einzige Stückchen Normalität, das ich hatte, der einzige soziale Kontakt, weil niemand es mit sooo einem Kind wie meinem zu tun haben wollte, das damals noch ohne Diagnose war.
Arbeiten gehen, funktionieren bis zur Selbstaufgabe und irgendwann kam der Bumerang, totaler Nervenzusammenbruch, 12 Wochen psychiatrische Klinik, weitermachen wie bisher, der nächste Zusammenbruch, wieder Klinik, weiter funktionieren, bis irgendwann gar nichts mehr ging. Zudem musste ich mich ja auch noch um meine schwerbehinderten Sohn kümmern, wo mir tagtäglich neue Steine in den Weg gelegt wurden. Schließlich mussten wir kapitulieren, ihn in vollstationäre Betreuung geben. Ich habe 4 Jahre gebraucht, um diese Entscheidung zu treffen, auf Kosten meiner Gesundheit.
Als es mir dann wieder gut ging, ich wieder arbeiten konnte, förmlich aufgeblüht bin, endlich anfangen konnte, zu leben, habe ich mich, Ironie des Schicksals, während meiner Arbeit im Waldkindergarten mit Borreliose infiziert und es damals nicht bemerkt. Und wieder das gleiche, arbeiten gehen, mit unerträglichen Schmerzen, unter Aufbietung aller Kräfte, bis es wirklich nicht mehr ging, ich mich nur noch unter voller Schmerzmittel-Dröhnung bewegen konnte und zuletzt nicht mal mehr die Namen meiner Kindergartenkinder, ihrer Eltern und die meiner Kolleg/innen wusste und sie ständig verwechselt habe

(und das, obwohl ich gerade aus einem dreiwöchigen Urlaub kam, ich habe nur noch 3 Tage gearbeitet, dann war endgültig Schluß).
Arbeitsunfähigkeit, hart erkämpfte, aber leider erfolglose Reha, quasi Zwangsverrentung. Was habe ich in der Rehaklinik geheult, habe unter Tränen mit Oberarzt und Stationsarzt verhandelt, dass sie die Rente nicht mit der Dauer empfehlen, wie sie zunächst wollten. Aber letztlich musste ich es akzeptieren und ich merke tagtäglich wieder, dass es wirklich nicht mehr geht, dass ich wohl nie mehr arbeiten kann. Ich kriege ja nicht mal die normalen Alltagsdinge auf die Reihe, "überlebe" mit vielen Medikamenten, Psychotherapie, muss meine Borreliosebehandlung größtenteils selber bezahlen, im Mai steht außerdem Zahnersatz an, beides zusammengerechnet kostet mich mehr als 1 1/2 Jahre lang meine gesamte Netto-Monatsrente.
Ich wünsche mir (als Nicht-Autofahrerin) schon seit Jahren ein Fahrrad mit 14-Gang-Rohloff-Schaltung und Hydraulik-Bremsen, sozusagen mein Cabrio

. Wäre ich gesund und könnte arbeiten, hätte ich es wohl längst, aber es geht eben nicht und das muss ich akzeptieren. Statt dessen überlege ich, was ich meinem Zahnarzt als maximal leistbare Monatsrate an ihn für den Zahnersatz vorschlagen kann, da wir zusätzlich monatlich noch einen hohen Kostenbeitrag für die Betreuung unseres Sohnes ans Jugendamt zahlen müssen.
Für die Bezahlung meiner Borreliosebehandlung haben wir unsere Altersvorsorge aufgelöst.
Liebe Elvira, so gut ich Deinen Wunsch verstehen kann, als Forenuser gelöscht werden zu wollen, Flucht ist keine Lösung. Deine Ansichten, Probleme etc. nimmst Du mit und es kann anderswo genauso wieder passieren, dass jemand Deine Ansichten und Gedanken nicht versteht und das auch äußert.
Ich musste es mühsam lernen, nicht jedes Mal sofort die Flucht ergreifen zu wollen, zu leiden, gekränkt zu sein, wenn jemand etwas, das ich sagte oder tat, anders empfand als ich, Kritik äußerte, weil es zu meinem viele Jahrelang praktizierten Verhaltensmuster (für das es einen konkreten Grund gibt) gehörte, mich über die positiven Meinungen anderer über mich zu definieren, zu denken, niemals Fehler machen zu dürfen, einen (völlig ungesunden

) Perfektionsanspruch an mich selbst zu haben. Und selbst heute fühle mich oft immer noch unwohl, wenn irgendwas nicht perfekt läuft und mich womöglich auch noch jemand darauf anspricht.
Ich arbeite daran, mir das abzugewöhnen, lockerer damit umzugehen, es nicht mehr als persönlichen Angriff zu interpretieren...
Also sei tapfer

, bleibe bitte hier und berichte, wie es weitergeht, ok?!
Liebe Grüße
Annette