aktuell zur Nahtlosigkeitsregelung

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reallyangry
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aktuell zur Nahtlosigkeitsregelung

Ungelesener Beitrag von reallyangry » Sa 14. Dez 2013, 13:43

Aus der Praxis
Nahtlos zur Nahtlosigkeit
Meldet sich ein Langzeiterkrankter persönlich arbeitslos und beantragt Arbeitslosengeld (Alg) bei weiterer Krankschreibung nach Ausschöpfung der 78-Wochen-Bezugsdauer des Krankengeldes (§ 48 SGB V), war es nach bisheriger Praxis der Arbeitsagenturen (AA) so, dass Alg ungekürzt bewilligt wurde, sobald der Erwerb eines Alg-Anspruchs (Anwartschaftszeit) geklärt war. Die in einem solchen Fall unverzüglich in Auftrag gegebene sozialmedizinische Begutachtung zur Restleistungsfähigkeit, die je nach Sachlage und Auslastung des Ärztlichen Dienstes dauern kann, war keine Voraussetzung für die Aufnahme der Bewilligung.

Neuerdings sind die AA dazu übergegangen, Alg erst dann zu bewilligen, wenn die sozialmedizinische Begutachtung vorliegt und mit dem Arbeitslosen besprochen wurde. Dies kann die Bewilligung erheblich verzögern. Um finanzielle Notlagen zu verhindern, werden Formularbriefe folgenden Inhalts versandt:

Sehr geehrte/r ...
Hiermit bestätige ich Ihnen, dass Sie sich bei der Agentur far Arbeit arbeitslos gemeldet haben am ... . Ihren Antrag aufArbeitslosengeld haben Sie am ... eingereicht. Über die¬sen kann jedoch bis auf Weiteres nicht entschieden werden, da vorerst das heute (..) eingeleitete ärztliche Gutachten abgewartet werden muss, um über Ihre Verfügbarkeit far den Arbeitsmarkt zu entscheiden. Sollten Sie mittellos sein, empfehle ich Ihnen, sich beim zuständigen Jobcenter zu melden, um Arbeitslosengeld II zu beantragen.
Mit freundlichen Grüßen

Dass die AA in potentiellen Nahtlosfällen nach§ 145 SGB III auch ungeachtet eines bereits laufenden Antrags auf eine Erwerbsminderungsrente eine Begutachtung durchführt, ist nicht zu beanstanden. Die AA muss in eigener Zuständigkeit prüfen, ob die Restleistungsfähigkeit nicht nur vorübergehend (d. h. bis zu sechs Monaten) auf die Grenze einer Belastbarkeit von unter 15 Stunden wöchentlich zu üblichen Arbeitsmarktbedingungen, was Pausen, Arbeitstempo und Arbeitszeiten betrifft, abgesunken ist (= Nahtlosfall) oder ob der Erkrankte noch imstande ist, mehr als 15 Stunden zu üblichen Bedingungen zu arbeiten. Dann ist Alg als reguläre Leistung zu zahlen. Erfordern gesundheitliche Einschränkungen eine Begrenzung der noch zumutbaren Arbeitszeit, muss die Leistung hierauf bemessen werden (§ 151Abs.5 SGB III). Lag die Arbeitszeit vor der Erkrankung höher, verkürzt sich das Alg im Verhältnis der früheren zur aktuell zumutbaren Arbeitszeit.
BSG vom 9 .9 .1999 -B 11 AL 13/99 R, info also 2000, S. 26 ff.
Der häufig gegen die Begutachtung vorgebrachte Einwand, diese obliege nur dem Rentenversicherungsträger, ist unzutreffend
Weil eine vorbehaltlose, ungekürzte Alg-Bewilligung vor Auswertung des ärztlichen Gutachtens in § 151 Abs. 5 SGB III-Fällen nur mit Wirkung für die Zukunft korrigiert werden kann (kein Verschulden i. S. von § 48 SGB X), sichert die Vorschaltung eines Gutachtens gegen Leistungsüberzahlungen. Dagegen ist nichts einzuwenden.
Dennoch darf die AA die Bewilligung nicht in der oben aufgezeigten Weise ganz aussetzen, wenn eine Begutachtung nicht antragsnah gewährleistet werden kann. Dann muss Alg unverzüglich gemäß § 328 Abs. l Satz 3 SGB III bewilligt werden. Der erkrankte Arbeitslose befindet sich in der Regel in einer Situation, die eine nahtlose soziale Absicherung fordert, eine rasche Überwindung der Arbeitslosigkeit ist vor Klärung der Verfügbarkeit nicht zu erwarten.
Mit dem pauschalen Verweis auf Leistungen nach dem SGB II (Alg II) wird die AA diesem Auftrag nicht gerecht:
Arbeitslose, die nicht hilfebedürftig sind, stehen zunächst ohne Anschluss-Sozialleistung da. Verzögert sich die Alg 1-Bewilligung über die Dauer eines Monats nach Bezug des Krankengeldes, muss der Arbeitslose sich auf eigene Kosten freiwillig weiterversichern oder die Beiträge der Auffang-Ver-sicherung nach § 5 Abs. l Nr. 13 SGB V allein tragen.
Selbst wenn Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vorliegt, können Lücken dadurch entstehen, dass Alg II erst im Fol-gemonat beantragt wird. Da § 16 SGB 1 nicht gilt (die AA ist kein „unzuständiger Leistungsträger"), kann der Alg !-Antrag nicht als vorsorglicher Alg II-Antrag gewertet werden.
Im Übrigen verstößt eine solche Wertung gegen den Grundsatz der Meistbegünstigung, wenn der als Alg II-Antrag umge-deutete Alg 1-Antrag wegen der Rückwirkung auf den Ersten des Monats(§ 37 SGB II) nachteilig ist. Beispiel:
D meldet sich am 25 .7. persönlich arbeitslos und beantragt Alg I. Am
26.7. geht eine Geldzahlung von 2.500 €auf sein Konto. Bei Beantragung von Alg II am 1.8. wäre die Zahlung Schonvermögen, D könnte ab 1.8. Alg II erhalten. Ein Alg II-Antrag am 25.7., d. h. ab 1.7., verweist D auf den vorrangigen Verbrauch des Geldes zum Lebensunterhalt.
Eine Schutzlücke reißt die neue Bewilligungs-Praxis der AA, wenn sich herausstellt, dass der Arbeitslose kein Nahtlosfall ist, weil das gegenwärtige Leistungsvermögen von unter 15 Stunden voraussichtlich innerhalb der nächsten sechs Monate behoben werden kann. Wegen fehlender Verfügbarkeit gibt es dann kein Alg I und hat der Langzeitkranke im Vertrauen auf die Alg 1-Bewilligung von Sparvennögen gelebt, es gibt (S. dazu BSG vom 19.10.2010-B 14 AS 16/09 R) rückwirkend(§ 28 SGB X) auch kein Alg II, weil der Bedarf ja tatsächlich gedeckt war.3
Ist streitig, ob die Leistungsfähigkeit „nur" für die Dauer von sechs Monaten unter die 15-Stunden-Grenze gesunken ist, hat die Umstellung der Bewilligungspraxis zur Folge, dass der Erkrankte dies im Zweifel nachweisen muss; auch wenn die Ausschöpfung des Krankengeldes bei Fortdauer der Krankschreibung für einen Nahtlosfall spricht, muss die Verfügbarkeitsprognose, wenn sie nicht mehr über die anfängliche Unrichtigkeit i. S. von § 45 SGB X entscheidet, sondern zwingende Leistungsvoraussetzung ist, medizinisch überprüft werden, was die mögliche Alg-Bewilligung erheblich verzögert.

Ein Eilverfahren vor Gericht ist als einstweilige Regelung nach § 86b Abs. 2 SGG an wesentlich höhere Voraussetzungen geknüpft als die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 86b Abs. 1 SGG), wenn eine Aufhebung nach §§ 45, 48 SGB X angefochten wird, und gibt als Beschlussleistung frühestens ab dem Tag des Eilantrags bei Gericht einen vor¬läufigen Alg-Anspruch.
Streitigkeiten über die subjektive Verfügbarkeit nach Eröffnung des Gutachtens gehen zu Lasten der Arbeitslosen. Trug hier bisher die AA die Beweislast dafür, dass die Einwände oder Vorbehalte anlässlich der Besprechung des Gutachtens als Ablehnung der Verfügbarkeit zu werten sind, muss nun der Arbeitslose seine hinreichende subjektive Verfügbarkeit seit der Antragstellung, meist dem Ablauf des Krankengeldan¬spruchs, beweisen.

Erleidet der Arbeitslose in der Wartezeit bis zum Gutachten eine weitere, die objektive Verfügbarkeit ausschließende Krankheit (schwere Grippe, Sturzverletzung etc.), hatte er bislang jedenfalls einen Anspruch auf sechswöchiges Kranken-Alg nach§ 146 SGB III. Denn entweder liegt ein Nahtlosfall vor, dann überlagert die vorübergehende Erkrankung die AU, derentwegen bis zur Anspruchserschöpfung, längstens
bis zur Feststellung einer Erwerbsminderungsrente, Alg nach § 145 SGB III zusteht; oder der Bezug von Alg bis zur Besprechung des Gutachtens begründet die Leistungsfortzahlung nach § 146 SGB III, auch wenn die Alg-Bewilligung wegen einer Weigerung, sich dem Arbeitsmarkt gemäß Gutachten
zur Verfügung zu stellen, ab dem Tag der Besprechung des Gutachtens und Aufklärung über die Rechtslage aufgehoben werden muss. Das vor diesem Tag gezahlte Alg wurde rechtmäßig bezogen und begründet daher auch den Anspruch auf die sechswöchige Fortzahlung, selbst wenn diese über den Tag der Besprechung des Gutachtens hinausreicht und die Aufhebung der Bewilligung dann auf den Tag des Ablaufs der Sechs-Wochen-Frist verschiebt.

Im Fall einer antragsnahen vorläufigen Bewilligung wäre das in vollem Umfang zurückzuzahlende Alg I (§ 328 Abs. 3 SGB Ill) bei rückwirkendem Alg II-Antrag einem Darlehen gleich zu werten, das den Bedarf nicht in anspruchsvernichtender Weise erfüllt hatte.
(S. dazu etwa LSG Baden-Württemberg vom 14.3.2008 -L 8 AL 1601/07, info also 2008, S. 161 ff)

Die neue Bewilligungspraxis nimmt dem Arbeitslosen diesen Schutz, ein nach Eintritt der (neuen) Erkrankung gestellter Eilantrag nach § 86b Abs. 2 SGG kommt in der Regel zu spät, weil er sich zur Begründung des Anspruchs nach § 146 SGB III auf einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum (zumindest einen Bezugstag vor dem Eintritt der Erkrankung) erstrecken muss.
Die aufgezeigten Probleme lassen erkennen, dass die neue Bewilligungspraxis darauf hinausläuft, das nahtlose Verfahren einer antragsnahen Bewilligung, die ggf. unter den Vorausset-zungen der§§ 45, 48 SGB X beendet/umgestellt werden kann, in ein „Alles-oder-nichts"-Verfahren umzuwandeln, um den AA das Risiko fehlerhafter Aufhebungsbescheide abzunehmen.
Für langzeiterkrankte Arbeitslose ein hoher Preis, der Schutzlücken hat und die Betroffenen von Zufälligkeiten im Verwaltungsablauf (wann wird das Gutachten erstellt, wie lange dauert die Anforderung ärztlicher Unterlagen vom MDK, von der Rentenversicherung, wann ist der Termin für die Bespre-chung des Gutachtens etc.) abhängig macht.
Bedenkt man, dass§ 145 SGB III die Schnittstelle zwischen Renten-und Arbeitslosenversicherung ohne „Verhartzung" schließen soll, ist die neue Bewilligungspraxis kein Ärgernis, sie ist rechtswidrig.
Arbeitslose, die das oben erwähnte Schreiben erhalten, sollten ausdrücklich einen Antrag auf vorläufige Bewilligung nach § 328 Abs. 1 Satz 3 SGB III stellen. Lehnt die AA eine vor-läufige Bewilligung ab, ist ein Eilantrag beim Sozialgericht ratsam, wenn der Gang zum Jobcenter unzumutbar oder ohne Aussicht auf Erfolg ist.5 Dem Eilantrag sollte vorsorglich eine Erklärung beigefügt werden, dass der Antragsteller mit dem Einblick des Gerichts in ärztliche Unterlagen, die dem Alg-Antrag beigefügt wurden oder deren Beiziehung der Arbeitslose zugestimmt hatte, einverstanden ist. Diese Un-terlagen, die ohne Einverständniserklärung nicht mehr zur (elektronischen) Akte genommen werden, könnten für die Entscheidung des Gerichts bedeutsam sein. Wird auf den Druck des Eilantrags ein Gutachten nach Aktenlage erstellt, wonach die Leistungsfähigkeit für die Dauer bis zu sechs Monaten aufgehoben ist, kann das Gericht ohne Einblick in das Gutachten keine Entscheidung treffen.
Udo Geiger
Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.
(Paul Watzlawik, Philosoph und Psychotherapeut, 1921-2007)

bammel
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Re: aktuell zur Nahtlosigkeitsregelung

Ungelesener Beitrag von bammel » So 15. Dez 2013, 11:53

Hallo
Gibt es dazu eine einfache Übersetzung :schuechtern: :confused: :Verwirrt: :Gruebeln:
Vielleicht sollte ich nicht soviel Pillen schlucken :depri:
Je mehr ich das K-o-R durchforste umso mehr kommt mir das :kotzen:
Hat man es bei einigen SB mit Menschen zu tun :confused: oder sollten die auch ein Forum gründen :glotzen: :aha:
z.B. K-m-L Krank mit Lohn :keule:

bammel :winke:
Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom

maniacx
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Re: aktuell zur Nahtlosigkeitsregelung

Ungelesener Beitrag von maniacx » So 15. Dez 2013, 14:42

Ich kann dir das erklären, mit mir haben die nämlich genau das abgezogen.
Du bist krank und evtl. ausgesteuert, meldest dich bei der AA und stellst ALG Antrag schreibst aber dass du krank bist bzw. stellst Antrag auf Nahtlosigkeit.
So jetzt weigert sich die AA dir Leistungen zu gewähren bevor nicht das Gutachten des Amtsarztes vorliegt und das kann Monate dauern, und sagen dir man solle doch übergangsweise ALG2 beantragen wegen Bedürftigkeit.
Das ist rechtswidrig.
Da du nicht verhungern willst kannst du beim Sozialgericht eine Einstweilige Anordnung bzw. Eilantrag auf vorläufige Bewilligung des ALG1 nach § 328 Abs. 1 Satz 3 SGB III beantragen und das wird dann gewährt bis das Ergebnis des Gutachtens vorliegt.
Hat bei mir geklappt.

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