dazu mal was....
Aufklärung bei der Blutentnahme
Vor Durchführung einer medizinisch indizierten Blutentnahme bedarf es – anders als im Fall einer fremdnützigen Blutspende – keiner Aufklärung des Patienten über das Risiko einer Nervenirritation durch die eingeführte Nadel.
Zwar hat ein Patient grundsätzlich seine Einwilligung in den Eingriff einer Blutentnahme zu erteilen. Dass der Kläger die Blutentnahme am 30.10.2006 verweigert hätte, ist nicht vorgetragen. Die Einwilligung ist allerdings nur dann wirksam, wenn der Patient zuvor hinreichend über Chancen und Risiken der Behandlung aufgeklärt worden ist.
Die Frage, ob es konkret einer Risikoaufklärung bedarf, ist rechtlich zu bewerten und nicht etwa allein in die Kompetenz eines medizinischen Sachverständigen zu stellen. Es bedarf jedoch insoweit sachverständiger Beratung des Gerichts, als unter Zugrundelegung medizinischer Standards festzustellen ist, ob ein bestimmtes Risiko eingriffstypisch und –immanent ist. Letzteres hat der Sachverständige für die im vorliegenden Fall eingetretene Nervenschädigung bejaht.
Für den vorliegenden Fall ist zu beurteilen, welche Anforderungen an die Selbstbestimmungsaufklärung bei einer Blutentnahme zu stellen sind.
Eine gesetzliche Regelung hierzu existiert nicht. Die in erster Linie dem Schutz des Transfusionsempfängers dienenden Regelungen des Transfusionsgesetzes können hier nicht herangezogen werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Patient nur „im Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken einer Behandlung aufzuklären. Die exakte medizinische Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken ist nicht erforderlich. Dem Patienten muss aber eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt werden. Dabei ist er auch über sehr seltene Risiken aufzuklären, die im Falle ihrer Verwirklichung die Lebensführung schwer belasten und trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien aber überraschend sind.
In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof die Aufklärungspflicht über Nervenverletzungen bei Blutspenden bejaht. Ein Arzt dürfe insbesondere nicht als bekannt voraussetzen, dass die Schädigung eines Nervs nach einer Blutspende irreversibel sein und dauerhafte Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen nach sich ziehen könne. Ein Blutspender habe Anspruch auf hinreichende Aufklärung über die mit einer Blutspende verbundenen Risiken – gerade im Hinblick auf mögliche Nervenschädigungen –. Dies gebiete sein Selbstbestimmungsrecht und sein Recht auf körperliche Unversehrtheit. In Anlehnung an die Rechtsprechung zum Umfang der Aufklärungspflicht bei kosmetischen Eingriffen werden besonders strenge Anforderungen an eine Aufklärung des Spenders über etwaige schädliche Folgen eines ärztlichen Eingriffs gestellt.
Zur Blutspende hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass das Risiko sowohl der Verletzung von Nerven als auch die Chronifizierung der durch die Nervenverletzung hervorgerufenen Schmerzen dem Eingriff der Blutspende spezifisch anhafte und nicht allgemein bekannt sei. Im der genannten Entscheidung zugrunde liegenden Fall war der Patient durch die Chronifizierung der Schmerzen mit der Folge dauernder Medikamenteneinnahme infolge der bei der Blutspende erlittenen Nervenbeeinträchtigung in seiner Lebensführung schwer belastet. Deshalb sei über das breite Spektrum möglicher Folgen einer Nervenschädigung von einer vorübergehenden Schmerzempfindung bis hin zur andauernden Lähmung aufzuklären.
Die vom Bundesgerichtshof für den Fall der Blutspende aufgestellten Anforderungen hinsichtlich des Umfangs der Aufklärungspflicht sind mangels Vergleichbarkeit der Ausgangssituationen jedoch nicht für den streitgegenständlichen Fall heranzuziehen.
Zum einen ist das Risikopotential bei einer Blutspende ein ganz anderes als das bei einer regulären Blutentnahme. Hierzu hat die Vorinstanz ausgeführt, dass gerade wegen der bei Blutspenden verwendeten kaliberstärkeren Punktionskanülen Verletzungen von Nerven häufiger auftreten würden als bei gewöhnlicher Blutentnahme. Außerdem würden Nervenverletzungen durch Blutentnahmen – anders als im Falle von Blutspenden – häufig folgenlos verheilen.
Zudem hat sich der Bundesgerichtshof in seiner vorgenannten Entscheidung ausschließlich zum Umfang der Aufklärungspflicht im Falle der Blutspende geäußert. In diesem Zusammenhang hat er maßgeblich darauf abgestellt, dass es sich um eine fremdnützige Handlung zugunsten der Allgemeinheit handele. Der Spender, der für die Dauer des Blutspendevorgangs als Patient anzusehen sei, könne hinsichtlich des Umfangs der Aufklärungspflicht nicht schlechter gestellt werden als ein Patient, der sich einem kosmetischen Eingriff unterziehe. Dieser müsse – nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung – umso ausführlicher und eindrücklicher über etwaige schädliche Folgen eines ärztlichen Eingriffs aufgeklärt werden, je weniger dieser medizinisch indiziert sei. Im vorliegenden Fall der Blutentnahme hat sich der Kläger jedoch weder aus altruistischen Motiven in der Klinik der Beklagten vorgestellt, noch diente der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit im Wege der Blutentnahme eher psychischen oder ästhetischen Bedürfnissen. Vielmehr handelte es sich nach den plausiblen Erläuterungen des Sachverständigen um einen medizinisch indizierten Heileingriff.
Zu dem Erfordernis einer Aufklärung über mögliche Nervenschädigungen bei einer Blutentnahme hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung zur Blutspende keinerlei ausdrückliche Stellungnahme abgegeben; noch findet sich in der zitierten Entscheidung die Formulierung, dass offen bleiben könne, welche Anforderungen an die Aufklärungspflicht im Fall der Blutentnahme zu stellen sind.
Mithin liegt bislang – soweit ersichtlich – noch keine höchstrichterliche Entscheidung hierzu vor.
Auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden kann im vorliegenden Fall nicht zur Begründung einer Pflicht zur Aufklärung über das Risiko von Nervenirritationen herangezogen werden. Der vom OLG Dresden entschiedene Fall befasste sich mit intravenösen Injektionen in die Ellenbogenbeuge. In einer radiologischen Praxis war Lösung zur Vorbereitung eines Schilddrüsen-Szintigramms in die Vene injiziert worden. Hier wurde eine entsprechende Aufklärungspflicht bejaht. Zu unterscheiden hiervon ist jedoch der vorliegende Fall eines diagnostischen Eingriffs ohne therapeutischen Eigenwert, bei dem keinerlei Medikament o.ä. in die Vene appliziert wird, sondern lediglich Blut entnommen wird. Jedenfalls bei dringender medizinischer Indikation der diagnostischen Maßnahme, wird von der Rechtsprechung kein strenger Maßstab für die Aufklärung angelegt.
Auch aus der Rechtsprechung zu Routinemaßnahmen lässt sich keine Aufklärungspflicht im vorliegenden Fall begründen. Daraus, dass es sich bei einer Blutentnahme im Klinikalltag wie auch im Alltag niedergelassener Ärzte um eine massenhaft durchgeführte Maßnahme handelt, lassen sich keine generellen Folgerungen auf den Umfang einer durchzuführenden Aufklärung ableiten.
Die Rechtsprechung hat hierzu im Zusammenhang mit öffentlich empfohlenen Impfungen entschieden, dass ein Arzt nach der Information des Patienten durch ein Merkblatt ausnahmsweise davon ausgehen darf, dass der Patient auf eine zusätzliche mündliche Risikodarstellung keinen Wert legt. Vorliegend fehlt es jedoch sowohl an mündlicher wie an schriftlicher Aufklärung über etwaige Nervenschädigungen.
Im konkreten Fall kann es auch nicht deshalb dahingestellt bleiben, ob über mögliche Nervenschädigungen hätte aufgeklärt werden müssen, weil etwa von Seiten des Klägers ein Entscheidungskonflikt nicht hinreichend vorgetragen ist.
Anders als im Fall der Blutspende verbleibt dem Patienten beim Heileingriff der Blutentnahme die Entscheidung zwischen Krankheits- und Behandlungsrisiko. Nachdem sich der Patient unstreitig zum Zeitpunkt der Wiedervorstellung in der Klinik der Beklagten am 30.10.2006 nach einem Gewichtsverlust von 13 kg binnen ca. einer Woche in einem äußerst bedenklichen Zustand der Dehydrierung befunden hatte, waren Infusionsbehandlung und auch Blutentnahme zur Bestimmung des Elektrolythaushalts eindeutig medizinisch indiziert. Allerdings ist es dem entscheidenden Gericht versagt, auf die Plausibilität eines Entscheidungskonflikts einzugehen, ohne dass der Einwand der hypothetischen Einwilligung erhoben ist.
Somit verbleibt es bei dem Grundsatz, dass generell über eingriffsspezifische Komplikationsmöglichkeiten aufzuklären ist, soweit diese dem Patienten nicht allgemein bekannt und damit für diesen überraschend sind.
Keine Aufklärungspflicht besteht allerdings für Risiken eines Eingriffs, die sich auch für einen medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs ohnehin ergeben. Hierzu zählen etwa bei einer Injektion das Risiko einer Rötung der Einstichstelle sowie kleinerer Hämatome oder einer Wundinfektion. Entsprechendes muss auch für die Blutentnahme gelten.
Zwar ist das Risiko einer Nervenirritation einem medizinischen Laien nicht in gleichem Umfang geläufig wie etwa das Risiko von Rötungen und Hämatomen. Würde man aber das Erfordernis einer Aufklärungspflicht über das seltene Risiko von Nervenirritationen bei einer Blutentnahme postulieren, so hätte dies äußerst weit reichende Konsequenzen für den klinischen Alltag in Klinik und Praxis. Die Forderung nach einem auf die individuellen Verständnismöglichkeiten des Patienten abgestimmten Aufklärungsgespräch über auch statistisch selten auftretende Nervenbeeinträchtigungen im klinischen Massengeschäft hätte beachtliche Mehrbelastungen des ärztlichen und nichtärztlichen Personals zur Folge. Dies ginge letzten Endes zu Lasten der Patienten, die auf eine zügige ärztliche Behandlung angewiesen sind. Zudem wäre ein erheblicher sächlicher Aufwand für Aufklärungsmerkblätter und erforderliche Dokumentation zu erwarten. Die hierfür anfallenden Kosten des Gesundheitswesens wären wiederum von der Allgemeinheit zu tragen. Letztlich erscheint es zweifelhaft, ob durch die rechtliche Forderung an den Aufklärungsumfang nicht mehr der Ausweitung des Bürokratismus als dem Wohl des Patienten gedient wäre. Zwar ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut. Angesichts der grundsätzlich geringen Invasivität des Eingriffs der Blutentnahme erscheint es der Kammer jedoch nicht gerechtfertigt, entgegen der seit Jahrzehnten bestehenden allgemeinen medizinischen Praxis hier eine Aufklärung über Nervenirritationen zu fordern. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn die Blutentnahme eindeutig medizinisch indiziert ist. Letzteres hat der Sachverständige für den konkreten Fall plausibel und nachvollziehbar bejaht.
Landgericht Heidelberg, Urteil vom 29. Juni 2011 – 4 O 95/08